Kinder und Jugendliche verbringen im Zuge des sukzessiven Ausbaus des Ganztages in der Primarstufe zunehmend mehr Zeit in schulischen Räumlichkeiten. Darüber hinaus wandelt sich die Vorstellung zeitgemäßer Lern- und Unterrichtsformen generell, aber gerade auch in der Ganztagsbildung fortwährend. Die Heranwachsenden haben in ihrer Rolle als Schüler*innen sowie Kinder und Jugendliche über den ganzen Tag verteilt unterschiedliche subjektive Bedürfnisse und objektive Bedarfe, deren Erfüllung für ein wirkliches Wohlfühlen in ihrer Ganztagsschule essenziell sind und gleichzeitig Grundbedingungen für erfolgreiches Lernen darstellen. Dazu gehören Aspekte wie Ruhe/Konzentration, Austausch/ Kommunikation, Bewegung/ Spiel/Sport oder eine (gesunde) Ernährung und Verpflegung. All diesen Bedürfnissen und Bedarfen muss in räumlicher Hinsicht Rechnung getragen werden, damit „der Raum“ neben den Schüler*innen/ Kindern/ Jugendlichen sowie Lehr- und Fachkräften „als dritter Pädagoge“ mitentscheidender Bestandteil einer guten Schulkultur werden kann.
Weiterhin sollten neben den Räumlichkeiten (im engen Wortsinne) auch weitere Bereiche wie z.B. (breite) Flure und der Schulhof bewusst gestaltet und in ein pädagogisches Raum- und Flächenkonzept integriert werden.
Ist die Notwendigkeit entsprechend veränderter Räumlichkeiten für einen kind- und jugendorientierten Ganztag allgemein anerkannt, stellt deren Realisierung in der Praxis oftmals eine große Herausforderung dar. Viele Schulbauten basieren noch zu großen Teilen auf dem traditionellen Bildungsverständnis. „Die Flurschule mit „Schuhkartonklassen“ und einem Flächenansatz von 2 qm pro Schüler gehört [aber] der Vergangenheit an. Sie taugt für einen modernen Unterricht in einer inklusiven Ganztagsschule nicht.“ (Seydel 2013: 7). Leider gibt es aber vielerorts oftmals nicht ausreichend (kommunale) Mittel bzw. Kapazitäten, um bestehende Schulgebäude zeitgemäß neu- oder umzubauen. Prozesse hin zu (mehr) pädagogischer Architektur sind sehr komplex, da hier zahlreiche unterschiedliche Sichtweisen und Akteur*innen eingebunden werden müssen.
Aus diesen Gründen kann es kein allgemein gültiges Musterraumkonzept für Ganztagsschulen im Primarbereich geben. Es muss jeweils vor Ort geschaut werden, welche Ressourcen und Kapazitäten vorhanden sind und welche konkreten Bedürfnisse und Bedarfe die Kinder- und Jugendlichen ebenso wie das pädagogische Personal als spätere Nutzer*innen haben. Bei herausfordernden baulichen Voraussetzungen am Standort oder unter der Bedingung begrenzter kommunaler Ressourcen ist es beispielsweise unabdingbar, Räumlichkeiten und Flächen durch eine multifunktionale Gestaltung vielseitiger und pädagogischer (im Sinne der Kinder und Jugendlichen) nutzbar zu machen.
Trotz dieser - vor Ort – sehr unterschiedlichen Ausgangsbedingungen lassen sich für gute schulische Räumlichkeiten bzw. Flächen einige Qualitätskriterien benennen (vgl. Montagsstiftung 2017: S. 13ff.):
1. Eine wesentliche Voraussetzung für ein gutes Schulgebäude ist eine architektonische Gesamtkonzeption, die von einem übergeordneten pädagogischen Leitkonzept ausgeht und ein differenziertes und schlüssiges Raum- und Flächenkonzept beinhaltet.
2. Diese Gesamtkonzeption der Räumlichkeiten und Flächen sollte partizipativ und kooperativ entwickelt werden. Zu beteiligen sind zuvorderst die Kinder und Jugendlichen, da diese einen Großteil ihres Tages in den Räumlichkeiten des Ganztags verbringen, aber auch die Mitglieder des multiprofessionellen Schulteams. Im Prozess bedarf es außerdem einer engen Zusammenarbeit mit kommunalen Verwaltungseinheiten (Schulverwaltungs- und Bauamt, Bau- und Immobilienwesen) sowie mit externen Dienstleistern (Architekturbüros (möglichst) mit Erfahrungen in pädagogischer Architektur, Bauunternehmen usw.).
3. Da sich die Vorstellungen von zeitgemäßer Bildung aufgrund neuer Erkenntnisse stetig wandeln und dies auch Auswirkungen auf die räumliche Gestaltung von Ganztagsschulen haben kann (bzw. muss), muss diese vielseitig gestalt- und anpassbar sein: Möglichst leichte Umgestaltbarkeit der Räume (z.B. flexibles Mobiliar, multifunktionale Nutzung), um unterschiedlichen Bedürfnissen und Anforderungen Rechnung tragen zu können (s.o.) und unterschiedliche Formen des Lernens zu ermöglichen (Frontalunterricht, Einzel- und Gruppenarbeit, Projekte).
4. Räumlichkeiten sollten gesundheitsbewusst und im Sinne des Wohlbefindens der Nutzer*innen gestaltet werden. Hierzu gehören beispielsweise die Bereiche Licht, Akustik, Raumluft, Raumklima, Sicherheit, Hygiene usw.
5. Frei und Verkehrsflächen wie z.B. Schulhof und Flure, sollten (unter Beachtung brandschutzrechtlicher Vorgaben) bewusst pädagogisch gestaltet und genutzt werden. Diese bergen gerade bei älteren Schulbauten große, ungenutzte Potenziale.
6. Die Ganztagsschule sollte in räumlicher Hinsicht nach außen bzw. in den Sozialraum geöffnet werden: Die Architektur sollte die Eltern zum Betreten der Gebäude und Verweilen in ihnen einladen und Räumlichkeiten für Kooperationspartner und Akteure aus dem Sozialraum vorhalten.
Verwendete Literatur
- Montagsstiftung Jugend und Gesellschaft (2017): Leitlinien für leistungsfähige Schulbauten in Deutschland. Bonn.
- Seydel, O. (2013). Die kleine Schule in der großen Schule. Das „Cluster“ – eine Alternative zur konventionellen Flurschule. Lehren & Lernen